Das große „Hallo Welt“-Dilemma
In der Redaktion von „Influencer Magazin“, einem neu gestarteten WordPress-Magazin, herrschte Hochbetrieb – oder vielmehr: absolute Stille. Der einzige Redakteur, Chefredakteur, Content-Creator, Marketingmanager und Hausmeister in Personalunion, Maik, saß an seinem Schreibtisch und starrte auf seinen Laptop-Bildschirm. Der Bildschirm starrte mit zwei unschuldigen Worten zurück, die das Potenzial hatten, Maiks große Ambitionen zunichte zu machen: „Hallo Welt.“
Maik hatte sich das Magazin als kulturelle Sensation vorgestellt – „der Ort, an dem Macher und Denker ihre Geschichten erzählen.“ Doch nun steckte er auf der Stelle fest, ohne Artikel, ohne Leser und, was am schlimmsten war, ohne Interviews.
„Wie soll man jemanden dazu bringen, mit einem zu reden, wenn die größte Schlagzeile ein Standard-WordPress-Beitrag ist?“ murmelte Maik und scrollte durch den langweiligen Text. „Niemand will einem Geistermagazin ein Interview geben!“
Henne trifft Ei
Maiks Dilemma war im Grunde ein klassisches Henne-Ei-Problem. Ohne spannende Interviews fehlte dem Magazin der Inhalt, um Leser anzulocken. Ohne Leser wiederum gab es keinen Grund für Prominente, ein Interview zu geben. Als hätte das Schicksal einen bizarren Sinn für Humor, wurde Maiks innerer Konflikt durch lautes Gegacker vor seinem Fenster unterbrochen. Neugierig lehnte er sich hinaus und sah, wie eine Henne wütend auf ein Ei schimpfte, das wackelig auf dem Gartenzaun balancierte.
„Was jetzt schon wieder?“ stöhnte Maik, doch er konnte nicht wegsehen.
Die Henne plusterte ihre Federn auf und gackerte empört: „Warum darfst du da sitzen, Ei? Ich bin diejenige, die dich gelegt hat!“
Das Ei, obwohl es keine Gesichtszüge hatte, wirkte irgendwie überheblich. „Ohne mich, liebe Henny, gäbe es niemanden, der zu deinem glorreichen Vermächtnis heranwächst.“
„Ach, hör doch auf“, schnappte die Henne. „Du bist doch nur ein glorifizierter Proteinbeutel, bis ich ins Spiel komme!“
Maik blinzelte. Verlor er den Verstand, oder stritten die beiden wirklich? Fasziniert und verzweifelt nach Inhalten suchend, schnappte er sich sein Handy und begann, aufzunehmen.
Das erste Interview
„Entschuldigung“, unterbrach Maik vorsichtig, während er nach draußen trat. Henne und Ei drehten sich beide zu ihm um, sichtlich genervt von der Störung.
„Wer bist du?“ gackerte die Henne und stellte die Federn auf. „Siehst du nicht, dass wir gerade das größte Rätsel des Universums lösen?“
„Ich bin Maik“, sagte er zögernd, „Chefredakteur von Influencer Magazin.“
„Von was bitte?“ fragte das Ei und wackelte leicht auf dem Zaun.
„Ein neues Online-Magazin“, erklärte Maik. „Ich suche nach tiefgründigen Inhalten, um es zu starten. Und ihr zwei seid… na ja, perfekt. Ich würde euch gerne zu eurem Streit interviewen.“
Die Henne legte den Kopf schief und sah ihn misstrauisch an. „Du willst uns interviewen? Eine Henne und ein Ei? Für ein Magazin, das niemand kennt?“
„Genau“, gab Maik zu. „Ihr wärt die erste große Story. Eure Geschichte könnte viral gehen!“
Das Ei kicherte. „Oh, der arme Kerl ist verzweifelt. Sieht aus, als würde er uns mehr brauchen als wir ihn.“
„Stimmt“, pflichtete die Henne bei. „Warum sollten wir unsere tiefgründigen philosophischen Einsichten an eine Plattform verschwenden, die keinen Ruf hat?“
Maik seufzte. Nicht einmal eine Henne und ein Ei wollten mit ihm reden. Doch dann hatte er eine Eingebung.
Der Pitch
„Denkt doch mal nach“, begann Maik und versuchte, all die Marketing-Tipps umzusetzen, die er halbherzig auf YouTube gesehen hatte. „Die Henne-oder-Ei-Frage ist zeitlos. Philosophen haben darüber nachgedacht, Wissenschaftler haben sie untersucht, und jetzt könnte die Welt eure Version hören. Ihr würdet zu Legenden werden! Berühmtheiten! Jeder würde endlich die Antwort kennen!“
Die Henne klopfte nachdenklich mit ihrem Schnabel auf den Boden. „Er hat nicht ganz unrecht. Diese Debatte läuft schon seit Jahrhunderten.“
„Und wenn wir die erste Story sind“, fügte das Ei hinzu, „gehört die Erzählung uns. Niemand könnte uns den Ruhm nehmen, das Internet zu sprengen.“
Maik nickte eifrig. „Genau! Und ihr könnt die Debatte ein für alle Mal klären.“
Die Henne und das Ei warfen sich einen Blick zu. Schließlich gackerte die Henne entschlossen: „In Ordnung. Wir machen es.“
Viral gehen
Am nächsten Tag wurde der Hello World-Beitrag durch eine neue Schlagzeile ersetzt: „Exklusiv: Die Henne und das Ei sprechen über das größte Rätsel aller Zeiten.“
Der Artikel war das pure Gold. Die Henne argumentierte leidenschaftlich für ihre Rolle als Ursprung von allem und verwies auf ihre evolutionären Vorfahren und ihre harte Arbeit. Das Ei konterte mit existenziellen Überlegungen zu Potenzial, Möglichkeiten und der Tatsache, dass nichts existieren könne, ohne zuerst konzipiert zu werden.
Die skurrile Natur des Interviews schlug auf sozialen Medien ein wie eine Bombe. Innerhalb weniger Stunden war das Influencer Magazin ein Trendthema. Memes, Debatten und sogar ein paar wissenschaftliche Artikel fluteten das Internet. Die Besucherzahlen der Website schossen in die Höhe. Maiks Postfach war plötzlich voller Interviewanfragen – Künstler, Influencer und sogar ein Physiker wollten mitmachen.
Erfolg (und eine Fortsetzung)
Maik konnte es kaum glauben. Sein kleines Magazin war über Nacht eine Sensation geworden. Aus Dankbarkeit kontaktierte er die Henne und das Ei für ein Folgeinterview. Dieses Mal ging es um ihren neu gewonnenen Ruhm.
„Ich war schon immer der Star“, gackerte die Henne selbstgefällig. „Die Leute überqueren buchstäblich die Straße nur für mich!“
„Ach, Ruhm ist vergänglich“, entgegnete das Ei weise. „Ein kleiner Riss, und du bist vergessen. Ich dagegen bin ewig – ein Symbol für Neuanfang und Potenzial.“
Maik lächelte. Die Debatte war nicht nur Inhalt, sondern auch eine Metapher für seinen eigenen Weg. Etwas Neues zu starten war wie ein Ei: voller Potenzial, aber zerbrechlich und unsicher. Doch mit ein bisschen Durchhaltevermögen konnte daraus etwas Großartiges werden.
Und so veröffentlichte Maik den Folgeartikel mit der neuen Schlagzeile: „Die Henne und das Ei: Leben nach dem viralen Erfolg.“
Influencer Magazin war offiziell auf der Karte – und das alles dank eines Gartenzwists zwischen einer Henne und einem Ei.